Kurseinheit A020 Investigativer Journalismus

Kurseinheit
 
Lernziel Die Teilnehmenden sollen in der Lage sein, die Techniken der investigativen Recherche anzuwenden.
 
Studienbriefautor Prof. Dr. Johannes Ludwig
 
Belegungsempfehlung Dieser Studienbrief baut auf A010 Journalistisches Recherchieren auf und vertieft diesen im Bereich des Investigativjournalismus.
 
Inhalte Grundlagen; grundsätzliche Herangehensweisen: die „investigative Denke"; Recherchetechniken; Informanten; reale Arbeitsbedingungen und investigative Arbeitsmöglichkeiten.
 
Notengewichtung
 
einfach
 
Leseprobe Download

 

Investigativer Journalismus

Vielen Journalisten gilt der investigative Journalismus als absolute Königsdisziplin, die in zahlreiche Bereiche der Berichterstattung hineinfließt. Grundsätzlich geht es beim investigativen Journalismus um das Aufdecken skandalöser Verhältnisse in Politik oder Wirtschaft. Grundsätzlich können Journalisten in nahezu jedem Ressort investigativ arbeiten, denn enge Verflechtungen - die oft hart an der Grenze zur Illegalität angesiedelt sind - gibt es auch im Lokalen oder im Kulturbetrieb. Charakteristisch für den investigativen Journalismus ist, dass der eigentlichen Veröffentlichung eine lange, umfassende und gründliche Phase der Recherche vorangeht.
 
Der investigative Journalist als Vierte Gewalt
 
Ebenso wie investigativer Journalismus in allen Ressorts möglich ist, kann er auch in allen Mediengattungen gepflegt werden, wobei der Unterschied lediglich in der Präsentation der Rechercheergebnisse liegt. Journalisten, die überwiegend investigativ arbeiten, erfüllen häufig die Funktion einer Vierten Gewalt im Staat, also einer Kontrollinstanz, die sowohl Politik als auch Wirtschaft gründlich beobachtet und Missstände aufdeckt, veröffentlicht und dadurch auch gesellschaftliche Veränderungen bewirken können. Das bekannteste Beispiel dürfte wohl der Watergate-Skandal sein, der von den Journalisten Carl Bernstein und Bob Woodward aufgedeckt wurde und letztlich zum Rücktritt von Richard Nixon führte. Als prominentestes Beispiel in Deutschland gilt Günter Wallraff, der sich seinem Thema grundsätzlich Undercover und mit falscher Identität nähert.
 
Kein barrierefreier Journalismus
 
Weil im investigativen Journalismus Dinge aufgedeckt werden, die eben nicht an die Öffentlichkeit sollten, müssen die Journalisten damit rechnen, auf Barrieren und Widerstände zu stoßen, welche ihnen die Recherche erschweren oder unmöglich machen sollen. Anders als in totalitären Systemen, wo die Medien einer Zensur unterliegen, greifen diese Barrieren hierzulande erst relativ spät und können unter Umständen sogar juristisch beseitigt werden. Die Verzögerungstaktik der Betroffenen stellt die Journalisten eher vor eine andere Hürde: Kaum ein Freelancer kann sich die oft monatelange, intensive Recherche leisten, während in Redaktionen die Personaldecke oftmals zu dünn ist.
 
Die Kennzeichen des investigativen Journalismus
 
Der investigative Journalismus lässt sich durch folgende drei Kennzeichen definieren:
Der Begriff "investigativ" bezeichnet im Journalismus eine tiefgehende und umfassende Recherche. Die Recherche endet erst an dem Zeitpunkt, an dem ein Sachverhalt aufgeklärt ist, soweit es möglich ist.
 
Als Ausgangspunkt für die investigative Recherche können externe Informanten dienen, die einen Großteil der Informationen bereits liefern oder aber der Journalist stößt auf Ungereimtheiten, welchen er mit Hilfe eines Insiders nachgeht. Weil aber auch der Informant eigene Ziele verfolgt, sollte der Journalist das Thema jederzeit unter rein journalistischen Gesichtspunkten bewerten. Dadurch verhindert er, dass er von einer beliebigen Seite instrumentalisiert werden kann. Ansonsten läuft er sehr schnell Gefahr, zu einer Art "Hofberichterstatter" zu werden, was sich langfristig natürlich auch nicht positiv auf die Glaubwürdigkeit seines Mediums beim Nutzer auswirkt.
Der investigative Journalist bearbeitet Themen, die eine gewisse gesellschaftliche Relevanz haben. Zu den klassischen Themenfeldern gehören Korruption, Missmanagement, Amtsmissbrauch und Klüngelwirtschaft. Eines der häufigen Themenfelder, das von investigativen Journalisten bearbeitet wird, ist der Versuch, individuelle Eigeninteressen auf Kosten der Allgemeinheit durchzusetzen.
 
Investigativ denken lernen
 
Journalisten, die investigativ arbeiten wollen, benötigen ein gesundes Maß an Misstrauen. Sehr oft steckt der Stoff für eine gute investigative Geschichte nämlich im Offensichtlichen, sprich in Geschäftsberichten oder offiziellen Pressemitteilungen. Hier gilt es, Widersprüche oder Ungereimtheiten zu entdecken und diesen nachzugehen. Zu den weiteren Schlüsselqualifikationen gehören außerdem Neugier, Respektlosigkeiten und die Fähigkeit, aufgrund von Fakten eine neue Wirklichkeit zu konstruieren, um den Weg für die weitere Recherche festzulegen. Denn Unmögliches kann bis zu einem gewissen Grad tatsächlich möglich sein. Wichtig kann es unter Umständen sein, die Verhältnisse hinter den Kulissen zu kennen. In der Politik sind zum Beispiel Parteifreunde oft tief verfeindet, während so mancher Mandatsträger oder Unternehmenschef inoffiziell mit Politikern aus anderen Parteien sehr eng zusammenarbeitet.
 
Welche Quellen werden genutzt?
 
Die besondere Herausforderung des investigativen Journalismus besteht im besonderen Fingerspitzengefühl, das bei der Recherche notwendig ist. Der Journalist benötigt einen guten Überblick über die zur Verfügung stehenden Quellen. Dabei wird unterschieden in "freundliche" und "unfreundliche" Quellen. Freundliche Quellen sind entweder dem Journalisten oder dem Medium wohlgesonnen oder haben ein eigenes Interesse daran, dass ein bestimmter Sachverhalt an die Öffentlichkeit kommt.
 
Die Recherche im investigativen Journalismus
 
Sehr oft gilt es im investigativen Journalismus, die berühmte Nadel im Heuhaufen zu finden. Als hilfreich erweist es sich, wenn der Journalist sich in das jeweilige Umfeld hineindenken kann. Dazu gehören auch die inoffiziellen Hierarchien in Parteien, Unternehmen, Verbänden und Systemen. Vor allem bei der Gegenrecherche stößt der Journalist häufig auf das Problem, dass die Stellen, bei welchen er nachfragt, nicht mehr Informationen preisgeben, als sie unbedingt müssen. Wichtige Informationen erhält der Journalist hier etwa, indem er vorgibt, mehr zu wissen, als es tatsächlich der Fall ist. Darüber hinaus muss der Journalist in jeder Phase der Recherche immer wieder alle denkbaren Möglichkeiten in einer Art mentalem Schachspiel checken. Dadurch stößt er möglicherweise auf Quellen, die er bisher nicht bedacht hat. Unter Umständen muss der investigative Journalist auch verdeckt recherchieren. Daneben gibt es noch eine Vielzahl weiterer Recherchetechniken, die der investigative Journalist im konkreten Fall anwenden kann.
 
Der Schlüssel zum Erfolg: die Informanten
 
Die richtigen Informanten zu finden und diese richtig zu behandeln spielt im investigativen Journalismus eine sehr viel größere Rolle als im sonstigen Alltag. Der Grund: Informanten, die sensible Informationen an die Medien weitergeben, müssen berechtigterweise Repressalien befürchten. Für den Journalisten heißt das: Er muss eine solide Vertrauensbasis zu seinen Informanten aufbauen und diese bestmöglich schützen. Einen besonders hohen Stellenwert hat deshalb auch der Informantenschutz. Dass Informanten auch über Jahrzehnte hinweg unentdeckt bleiben können, zeigt die Watergate-Affäre: Hier spielte mit Mark Felt ein hochrangiger Mitarbeiter des FBI den Journalisten der Washington-Post die entscheidenden Informationen zu und wurde erst nach 33 Jahren als Informant enttarnt, nachdem er selbst die Zustimmung dazu gegeben hatte.
 
Investigativer Journalismus im Alltag
 
Investigatives Arbeiten ist im redaktionellen Alltag nicht unbedingt einfach, eventuell die Interessen von wichtigen Anzeigenkunden berührt werden, welche das Medium finanzieren. Die größten Chancen, investigativ arbeiten zu können, haben Freelancer, die sich auf bestimmte Themenbereiche spezialisieren und deshalb nicht auf ein bestimmtes Medium angewiesen sind. Auch Kooperationen von Journalisten aus verschiedenen Fachbereichen haben sich hier bewährt. Als klassische Kombination gilt etwa gebündeltes Wissen aus Politik und Wirtschaft. Der Vorteil für Freelancer besteht darin, dass sie sich schnell einen guten Namen erarbeitet haben und sich dadurch Informationsquellen erschließen können, die ihren Kollegen verwehrt bleiben.