geschrieben von Eva-Maria Hartmann
Publikationsdatum am 11.12.15 14:57
Seit sechs Jahren können Studenten in Hessen wieder gebührenfrei studieren. Nun spricht die Hochschulrektorenkonferenz von einer möglichen Wiedereinführung der allgemeinen Studiengebühren.
Eine Samenspende zur Finanzierung des Studiums? Was in den USA Gang und Gebe ist, kam für Philipp S. nicht in Frage. Nach seinem Abitur wollte er Informatik an der Goethe Universität in Frankfurt studieren. „Viele meiner Freunde reisten um die Welt, suchten Entspannung vom Lernstress. Aber ich wollte direkt studieren.", erinnert er sich. Vor ihm steht ein aufgeschraubter Computer. Schon seit seiner Kindheit interessiert er sich für Informatik. Entsprechend hoch war seine Motivation, sich an der Universität einzuschreiben. Nach der Anmeldung folgte eine Zahlungsaufforderung - 500 € sollte ihn das Semester kosten.
Zu genau diesem Wintersemester 2007/2008 führte das Land Hessen Studiengebühren für das Erststudium ein. Nachdem das Bundesverfassungsgericht 2005 das erlaubte, machten vier der 16 deutschen Bundesländer von diesem Angebot Gebrauch. Nach und nach folgten weitere, als letztes auch Hessen. Langzeit-, Master-, und Gaststudenten mussten bereits vorher schon zahlen. Als das Bundesverfassungsgericht zwar allgemeine Studiengebühren für ganz Deutschland verboten hatte, weil das die Entscheidungskompetenz der Länder einschränken würde, erlaubte es den Ländern nun, selbstständig darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe Studenten an öffentlichen Hochschulen für ihr Studium aufkommen müssen.
Die Studiengebühren sollten die Hochschulen finanziell entlasten. Zwar flossen Mittel aus Steuergeldern, allerdings schienen diese nicht zu genügen. In vielen Universitäten standen nur veraltete Technik und Lehrmittel zur Verfügung. Die Gebühren sollten nun der „Verbesserung der Qualität von Studium und Lehre" dienen.
Für Philipp S. kam es jedoch nicht zu einer Lehre - zumindest nicht an einer Hochschule in Hessen. Umziehen in eines der acht gebührenfreien Bundesländer kam für ihn nicht infrage. „Der Umzug und die Kosten für einen eigenen Haushalt wären mindestens genauso hoch wie die Studiengebühren", meint er. Nur, wer für ein Kind unter 14 Jahren oder für Angehörige sorgte, Studenten im Urlaubssemester, hochbegabte und ausländische Studenten waren von den Kosten befreit. Philipp S. erfüllte keines dieser Kriterien. Seine Eltern versorgten ihre zwei Kinder und tilgten den Kredit für das Haus – Um ihrem ältesten Sohn das Studium zu finanzieren, blieb zu wenig Geld übrig. Nach unzähligen erfolglosen Anrufen im Universitätssekretariat resignierte Philipp S. schließlich. Stattdessen begann er eine Ausbildung zum IT-Kaufmann in einer namhaften Firma. Ausgelastet fühlte er sich hier allerdings nicht: „Es lag nicht an der Firma an sich. Aber wenn die Leute angerufen haben und meinten, ihr PC sei kaputt, musste ich meistens nur einen Stecker einstöpseln oder einen Knopf drücken. Mit Informatik hatte das wenig zu tun."
Philipp S. gehört zu der Minderheit, der ein Hochschulstudium durch die Studiengebühren verwehrt blieb. Die Mehrheit der Studenten in Hessen war davon nicht betroffen. Das bestätigt Professor Rudolf Steinberg, damaliger Präsident der Goethe Universität: „Tatsächlich schrieben sich nachweislich nicht weniger Studenten an der Goethe Universität ein, als vor der gebührenpflichtigen Zeit.? Wie aber finanzierten die Studenten ihr Studium? Eine Möglichkeit war ein Kredit, natürlich nicht zinslos. Auf viele jungen Leute wirkte der Gedanken, sich schon zu verschulden, bevor man überhaupt Geld verdient hat, abschreckend. Zur Debatte stand damals auch die sogenannte Absolventensteuer. Bei diesem Modell zahlen Hochschulabsolventen nachträglich Gebühren an ihre Ausbildungsstätte. Während dieses System in Schweden und Australien schon gelebt wird, setzte es sich in Deutschland nicht durch.
Trotz gleichbleibend hoher Einschreibungen trafen die Dozenten ihre Studenten nicht mehr in den Hörsälen an. Stattdessen kam es zu heftigen Protesten gegen die Studiengebühren und Professor Steinberg persönlich. „Mein Haus wurde mit Farbbeuteln beworfen. Meine Familie und ich fühlten uns bedroht", erinnert er sich. Steinberg sprach sich zuvor klar für die Studiengebühren als „Investition in die eigene Zukunft? aus.
Trotz Einwände seitens der Hochschulen wurden die Studiengebühren in Hessen nach nur einem Jahr wieder abgeschafft. Weitere Bundesländer folgten, bis Niedersachsen zum Wintersemester 2014/2015 nun als letztes nachzog.
Zeitgleich, im Oktober letzten Jahres, sprach sich die Hochschulrektorenkonferenz nun für eine Wiedereinführung der Studiengebühren in Deutschland aus. Professor Steinberg sympathisiert mit der Idee – Allerdings müsste sie sozial ausgestaltet werden: „Studiengebühren dürfen niemandem das Studium unzugänglich machen.?
Mittlerweile absolviert Philipp S. das vierte Semester des Informatikstudiums an der Goethe Universität in Frankfurt. Als er von der Diskussion über eine mögliche Wiedereinführung der Studiengebühren hörte, überkam ihn ein Déjà-Vu. „Mein Bruder will nächstes Jahr nach seinem Abi anfangen, zu studieren."