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Schicksal Kampfhund: Der fragliche Wert der Rasselisten



Die Glitzersteinchen an Tonys Halsband blitzen in der Sonne. Es ist ein schöner Tag, Miriam lässt Tony an der langen Leine laufen und der Hund genießt die Bewegungsfreiheit sichtlich. Da kommen den beiden zwei Spaziergängerinnen entgegen. Mit einem kurzen Kommando ruft Miriam den vierbeinigen Begleiter an ihre Seite. Skeptisch wird erst der Hund im Vorbeigehen gemustert, dann die zierliche junge Frau am anderen Ende der Leine. Miriam grüßt höflich, Tony bleibt brav bei Fuß.

Als die Frauen vorbei sind, kann Miriam sie tuscheln hören: „Hast du gesehen, das war doch so ein Kampfhund. Furchtbare Tiere!“ Miriam kennt das schon; gegen manche Vorurteile helfen wohl auch keine Glitzersteinchen.  

Tony, Miriams Hund, ist ein American Staffordshire Terrier.  Aufgrund seiner Rassezugehörigkeit steht er auf der Bremer Rasseliste – gemeinsam mit drei weiteren Hunderassen. Die Liste ist Bestandteil des Bremer Gesetzes über das Halten von Hunden, das 2001 eingeführt wurde. Die Angst vor den sogenannten Kampfhunden sitzt tief – nicht zuletzt durch Unglücksfälle wie den im Jahr 2000, als der sechsjährige Volkan in Hamburg von einem Pitbull tot gebissen wurde. Die Politik sah sich zum Handeln gezwungen und setzte größtenteils auf Rasselisten, um die Bevölkerung zu schützen. Der Umgang mit gefährlichen Hunden und der Einsatz von Rasselisten sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt.

„Hunde der Rassen Pit-Bull-Terrier, Bullterrier, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier sind gefährliche Hunde.“, heißt es im Bremer Gesetz. Tony gilt also als gefährlich, das wissen auch die Spaziergänger. Miriam hat sich an die Reaktionen gewöhnt: „Man hört häufig blöde Kommentare oder sieht die feindseligen Blicke.“ Ihr größter Kritikpunkt an der Rasseliste: Eine Gefährlichkeit aufgrund der Rassezugehörigkeit ist wissenschaftlich nicht belegbar. Dennoch wurde das zunächst befristete Gesetz im Bundesland Bremen im November 2014 zur dauerhaften Vorschrift.

Für Ina Thielemann eine fragwürdige Entscheidung. Sie ist Tonys Hundetrainerin und weiß, dass die Probleme meist beim Halter liegen: „Häufig holt sich eine bestimmte Gruppe von Leuten diese Art von Hunden, um sich mit ihnen zu profilieren. Sie schüren gezielt die Aggressivität des Hundes, damit er gefährlicher wirkt. Durch diese Menschen sind einzelne Rassen in Verruf geraten.“  Ina Thielemann glaubt, dass Hunderassen wie der American Staffordshire Terrier nicht für jeden geeignet sind: „Das sind starke Rassen, die ganz klare Strukturen und Regeln brauchen. Dann können die Hunde ganz tolle, liebe Begleiter werden. Das Gleiche gilt aber auch für andere Rassen und Mischlingshunde. Diese können bei falscher Führung genauso gefährlich werden wie die sogenannten Kampfhunde. Auch ein Dackel eignet sich zum Beispiel nicht für jeden.“

Unbestritten haben manche Hunderassen ein höheres Aggressionspotential als andere. Doch erst, wenn der Hund die Aggression auch auslebt, wird er potenziell gefährlich. Experten sprechen von der so genannten Reizschwelle: Je niedriger diese ist, desto schneller reagiert der Hund auf Reize.  Oder andersherum: Je höher die Reizschwelle, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ein Hund aggressiv reagiert. Zwar sind Aggressionspotential und Reizschwelle grundsätzlich genetisch verankert. Aber Umwelt- und Haltungsbedingungen entscheiden schließlich darüber, wie der Hund sie auslebt. Im Grunde kann also jeder Hund, egal welcher Rasse er angehört, ein gefährlicher Hund sein.

Aber nicht jede Hunderasse wird vom Gesetzgeber als gefährlich eingestuft. Hunde, die demnach als ungefährlich gelten, dürfen von Jedermann gehalten werden. Bei Listenhunden ist die Haltung hingegen nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. So heißt es oft: Endstation Tierheim. Dort sitzen sie in ihrem Zwinger, abgesondert von den „normalen“ Hunden und warten – auf ein besseres Leben? Kaum nähern sich Schritte, bellen sie, als wollten sie sagen: „Wir sind auch noch da“. Traurige Augen hinter Gitterstäben.

Auch American Staffordshire Terrier Tony war einst hier untergebracht. Bis Miriam sich dazu entschloss, als Ehrenamtliche mit Listenhunden spazieren zu gehen. „Um die anderen Hunde kümmern sich genügend Leute, aber aufgrund der Vorurteile haben die Listenhunde oftmals das Nachsehen. Deswegen wollte ich mich um sie kümmern.“, erinnert sie sich. Für Tony ein Segen. Denn schnell entstand zwischen den beiden eine besondere Beziehung. Bis dahin hatte der Rüde wenig Glück: Sein früherer Besitzer hatte keine Erlaubnis, ihn zu halten. Er misshandelte und schlug den Hund. Immer wieder, bis ein Nachbar die Polizei informierte und Tony von Amts wegen beschlagnahmt wurde. Tony hat alles ertragen. Ein „Kampfhund“, der sich nie zur Wehr setzte.

Der Begriff „Kampfhund“ findet sich erstmals im Altertum, als der Mensch mit Hund an seiner Seite in Schlachten zog. Möglichst groß und angsteinflößend sollten solche Hunde sein. Gleichzeitig sollten sie eine hohe Reizschwelle haben, um während der Schlacht nicht Reißaus zu nehmen. Es handelte sich um große doggenartige Hunde, über deren Vorfahren keine eindeutigen Erkenntnisse vorliegen. Aus diesen Hunden entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte Rassen, die gezielt für Tierkämpfe gezüchtet wurden, zum Beispiel mit Bären oder Bullen. Kämpfe zur Unterhaltung des Menschen.

Auch im England des 19. Jahrhunderts war das Aufeinanderhetzen verschiedener Tierarten eine beliebte Unterhaltung, die nebenbei mit Wettgewinnen lockte. Während der Industrialisierung etablierten sich dann Hundekämpfe. Das Geld war knapp und Hunde einfacher zu beschaffen als Bären oder Bullen. In dieser Zeit entstanden jene Rassen, die heute zu den typischen Listenhunden zählen und die medienwirksam „Kampfhunde“ getauft wurden. Bei diesen Tieren, die illegal in Hinterhöfen kämpfen mussten, ging es tatsächlich um die so genannte „Gameness“, die Kampfeslust. Diese bezog sich aber nur auf Artgenossen: Menschen gegenüber durften die Hunde keinerlei Aggression zeigen. Der Grund ist ebenso einfach wie logisch: Während der Kämpfe waren auch immer Menschen mit in der „Pit“, der Kampfarena. „Sobald die Hunde auch nur einmal ein auffälliges Verhalten gegenüber einem Menschen zeigten, egal ob sie nur knurrten oder zuschnappten, wurden sie sofort eingeschläfert. Das war oberstes Gebot bei der Züchtung.“, weiß Hundetrainerin Ina Thielemann. Geeignete Hunde wurden dann gezielt auf die Kämpfe vorbereitet und wochenlang auf Hochleistung und Kampf trainiert. Die restliche Zeit ihres Lebens verbrachten sie in Zwingern oder an der Kette: Wenig Bewegungsfreiheit senkt die Reizschwelle.

Mit Tonys Leben hat das alles nichts zu tun. Entspannt liegt er neben seinem Frauchen, während die schwärmt: „Tony ist herzensgut und eine ganz liebe Seele.  Es tut mir immer leid, wenn die Leute ihn aufgrund seines Aussehens beurteilen und nicht erkennen, was für ein toller Hund er ist. Er hat wirklich nichts Böses im Sinn, freut sich über jeden Menschen, jedes Kind, jeden anderen Hund und sogar über Katzen.“

Miriams Stimme wird heiser, sie muss die Tränen unterdrücken. Sie hat um Tony gekämpft. Sie durfte ihn damals nicht einfach aus dem Tierheim mitnehmen. Sie brauchte eine  Haltegenehmigung, die sie nur unter Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses erhielt. Sowohl Hund als auch Besitzer dürfen zuvor nicht auffällig geworden sein. In der Haltegenehmigung sind die Auflagen vermerkt, unter denen der Hund gehalten werden darf.  Zum Beispiel, dass für den Hund im öffentlichen Raum Leinen- und Maulkorbpflicht besteht.

Den Maulkorb möchte Miriam ihrem Hund ersparen und eine Befreiung beantragen. Gemeinsam mit Trainerin Ina Thielemann bereitet sie sich deshalb auf die Begleithundeprüfung vor. Miriam muss im Vorfeld eine Sachkundeprüfung bestehen und zeigen, dass sie sich mit der Materie Hund auskennt. Bei der Begleithundeprüfung werden dann Gehorsam des Hundes und sein Verhalten in der Öffentlichkeit geprüft.

Für Tony hat sich alles zum Guten gewendet, für viele andere Hunde nicht. Der Einsatz von Rasselisten verpflichtet zur Führung einer Beißstatistik. Diese besagt, dass es im Land Bremen seit 2002 zwar nie mehr als sieben Vorfälle mit Listenhunden gab. Beißvorfälle mit anderen Hunden gab es aber deutlich mehr: So wurden im Jahr 2013 über hundert Vorfälle gegen Mensch oder Tier gezählt. Erfüllt die Rasseliste also ihren Zweck, die Bevölkerung vor gefährlichen Hunden zu schützen?

Hundetrainerin Thielemann glaubt nicht daran: „Eine Regelung wie im Land Niedersachsen wäre deutlich sinnvoller. Hier unterliegen gefährliche Hunde dem Leinen- und Maulkorbzwang. Aber es werden keine Rassen pauschal als gefährlich eingestuft. Der Hund muss seine Gefährlichkeit erst mal beweisen, dann werden alle Rassen gleich behandelt.“ In Niedersachsen wird also der Hundebesitzer in die Pflicht genommen: Wer einen Hund halten möchte, muss eine Sachkundeprüfung bestehen.

Auch wenn Bremen sich erst mal für die Beibehaltung der Rasseliste entschieden hat, gibt es an anderer Stelle Hoffnung. In Schleswig-Holstein soll noch in diesem Jahr ein Gesetz verabschiedet werden, dass die Rasseliste ab 2016 abschafft. Vielleicht kommt der Tag, an dem die Rasselisten überall der Vergangenheit angehören und Tony wieder einfach Hund sein darf.

Nicole Bonholt hat ihre Examensarbeit auf ihrem Blog revvet.de bereits veröffentlicht.


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