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Ouzo trinken auf deutsche Art



Griechischer Wein, ein Urlaubsparadies, das griechische Restaurant an der Ecke. Es war im Grunde immer ein positives Bild, das wir in Deutschland mit Griechenland verbunden haben. Seit der Finanzkrise scheint sich dieses Bild ins Negative zu verkehren - eine Entwicklung, die schlimme Folgen nach sich ziehen könnte.

„Ich würde ihr kein Geld leihen, das siehst du doch nie wieder!“
Immer häufiger hört sie inzwischen solche oder ähnliche Sprüche. Dabei hätten noch vor einigen Jahren Äußerungen dieser Art, ob lustig gemeint oder nicht, überhaupt keinen Sinn gemacht, zumindest nicht ihr gegenüber. Auch heute ist sie keineswegs eine unzuverlässige Frau, nicht mehr oder weniger als jeder andere in ihrem Umfeld. Die Vorwürfe häufen sich nur aus einem einzigen Grund - Evangelika Kokinaki stammt aus Griechenland. Die junge Journalistin mit deutschem und griechischem Pass steht gewissermaßen direkt an der Konfliktlinie, die sich im Moment durch Deutschland zu ziehen scheint, und dennoch ist sie selbst natürlich nicht für die Ursachen des Konflikts verantwortlich.

Eine ganze Bevölkerungsgruppe wird zurzeit zur Rechenschaft gezogen für die Fehler der griechischen Finanzpolitik und des europäischen Bankensystems. Seitdem vor einigen Monaten die neue linke Syriza-Regierung in Griechenland mehr und mehr auf Konfrontationskurs zur Sparpolitik geht, scheinen sich die Ressentiments noch zunehmend zu verstärken.

„Ich habe ja auch nichts dagegen, wenn man mal Witze über Griechen macht, weil ich ja auch selber ab und zu welche mache. Ich finde es aber schlimm, wenn man es macht, und sich der Lage nicht bewusst ist, der politischen, als auch der sozialen“, meint die Deutsch-Griechin Kokinaki, „es ist auch definitiv erst durch die Finanzkrise aufgekommen, dass solche Witze gemacht werden.“ Die Ursachen hierfür sieht sie vor allem in der Berichterstattung der Boulevardpresse, allen voran der Bild. Dass die Bild-Zeitung polarisiert, ist nichts neues. Eine neue Qualität erreicht ihre Berichterstattung jedoch durch das Ausmaß und die Art und Weise, wie in den letzten Jahren fast durchweg negativ über Griechenland geschrieben wurde. Überschriften wie „Pleite-Griechen“ oder „Angst um unser Geld“ waren eher Regel als Ausnahme. Ende Februar startete sie gar eine „Selfie-Aktion“ bei der sich Leser mit einem Ausschnitt aus der Zeitung, auf dem in großen Lettern „Nein – keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen!“ stand, ablichten sollten.

Dies verurteilte der Deutsche Journalistenverband scharf. „Bei der Aktion hat die Zeitung aktiv ihre Leser dazu aufgerufen, ein Selfie mit dem eigenen Porträt an die Redaktion zu mailen. Hier wurde versucht Politik zu machen - nicht nur über Politik zu berichten. Es sollte direkt Einfluss genommen werden auf die politische Entscheidungsfindung. Dies ist mit den Aufgaben der Presse nicht vereinbar“, erklärt die Pressesprecherin des DJV, Ella Wassink.

Auch im Allgemeinen hält der DJV die Berichterstattung der Bild-Zeitung gegenüber Griechenland für medienethisch bedenklich. „Eine kritische Berichterstattung muss sein, aber eine Stimmungsmache gegen ein ganzes Land darf nicht sein“, betont die Sprecherin.

Die Bild-Zeitung selbst, allen voran ihr Chefredakteur Kai Diekmann, verteidigen sich gegen Vorwürfe solcher Art immer wieder damit, dass auch andere Medien ähnlich argumentieren würden, nur eben nicht mit den Mitteln des Boulevards. Und tatsächlich gibt es auch wissenschaftliche Stimmen, die diese These stützen. So kommt Simone Schlosser von der Universität zu Köln in einer medientheoretischen Analyse zu dem überraschenden Ergebnis, dass auch vermeintlich hochseriöse Medien wie DER SPIEGEL deutliche Merkmale eines kampagnenartigen Journalismus gegenüber Griechenland aufweisen. Eine Gesamtgesellschaftliche Stimmung gegen Griechenland oder „die Griechen“ kann also schwerlich von der Hand gewiesen werden.

Fast 400 000 griechisch-stämmige Menschen leben in Deutschland, die meisten davon in Süd- und Südwestdeutschland. Jeder in diesem Land kennt mit Sicherheit seinen einen „Griechen“, wo die Portion Gyros reichhaltig und der Ouzo danach immer noch gratis ist. Im Grunde schien man keine Probleme zu haben mit ihnen. Die bösen Ausländer, das waren wenn, dann die Türken, die Araber, die Leute aus den Problemvierteln und aus der Rütli-Schule. Griechen waren es in jedem Fall nicht. „Die Griechen - das ist ein ganz neues ökonomisches Feindbild, was erst durch die Finanzkrise entstanden ist“, meint Rolf Pohl, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Hannover.

Projektionen von negativen Eigenschaften auf Fremdgruppen entstünden auch immer dann, wenn man von den eigenen Fehlern oder Unzulänglichkeiten ablenken will. Wenn man also mit seinem eigenen Leben nicht zufrieden ist, sucht man sich eine Gruppe von vermeintlich andersartigen Menschen, auf die man die eigene Fehlbarkeit oder die schlechte Situation, in der man selbst steckt, abwälzen kann - soweit der sozialpsychologische Ansatz. „Auch wenn die Fremdgruppe als Ganzes zwar verurteilt und mit Vorurteilen überhäuft wird, sind diese dort, wo man sich kennt, nicht so stark ausgeprägt. Man trinkt schließlich immer noch gerne Ouzo in seinem griechischen Restaurant“, führt Pohl aus.

Der Gastronom Constantin Theoklidis leitet seit einigen Jahren das Restaurant „Costas Taverne“ und widerspricht zum Teil. „Man hört seit der Finanzkrise auch im Restaurant immer wieder dumme Sprüche von Gästen. Die Leute meinen das zwar lustig, verkennen aber die Lage in Griechenland. Da wegen des Sparprogramms Ärzte entlassen werden mussten, sind in Griechenland bereits Menschen gestorben, da hört der Spaß auf.“ Die Gästezahlen in Costas Taverne sind seit der Finanzkrise zwar nicht in dem Maße  zurückgegangen, als dass man von einem Zusammenhang sprechen kann, die Stimmung aber hat sich durchaus geändert. Schuld daran sind für Theoklidis nicht allein die  Boulevardmedien. Auch deutsche Politiker sollten sich zurücknehmen und lieber an ihre eigene Nase fassen. „Der deutsche Finanzminister hat in der 90ern vergessen, einmal  100.000 Mark von einem Waffenhändler in bar erhalten zu haben, und beschimpft nun griechische Politiker als unredlich“, meint er mit Bezug auf Wolfgang Schäuble und die CDU-Spendenaffäre.

Für Schlagzeilen sorgt auch immer wieder Volker Kauder. „Das sollte sich das freche Bürschchen Tsipras mal hinter die Ohren schreiben. Rotzfrech auftreten und dabei die Hausaufgaben nicht machen, das geht gar nicht.“, sagte der Unions-Fraktionvorsitzende unlängst im Rahmen der Troika-Verhandlungen, als er die Wertegemeinschaft Europas betonte.

Für Rolf Pohl, den Wissenschaftler, ist dieses oberlehrerhafte Verhalten etwas typisch deutsches. „Auch wenn es dazu nun keine stichfesten sozialwissenschaftlichen Studien gibt, habe ich doch die Erfahrung gemacht, dass dieses „Von oben heran-denken“ und Belehrende etwas ist, das in Deutschland überdurchschnittlich häufig vorkommt. Man redet da ja wie über Kinder.“

Die Stimmung ist also eine gesamtgesellschaftliche, wobei die Politik für Pohl als Auslöser identifiziert werden kann. „Die Feindbilder werden von Politikern geschürt und von den Boulevardmedien dankbar aufgenommen und transportiert, auch um Auflage zu machen.“ Dennoch ist es im Moment aus Pohls Sicht noch nicht so weit, dass sich Griechen in Deutschland wirklich bedroht fühlen müssen. „Von offenem Rassismus und Bedrohung würde ich in diesem Fall nicht sprechen, dazu verkörpern die Griechen auch viel zu sehr noch Europa und sind christlich geprägt. Ich will das aber für die Zukunft nicht ausschließen, es kommt darauf an, wie sich die Krise entwickelt“, sagt der Sozialpsychologe. Auch die Grenze zur Flüchtlings- und Migrationsproblematik sei in diesem Fall für Pohl nicht weit. „Auf welche Gruppen man Ressentiments bezieht, kann schnell wechseln und Übergänge sind meist fließend.“

Hierfür spricht auch die Aussage des griechischen Verteidigungsministers Panos Kammenos, der Anfang März damit drohte, man könne in Zukunft nicht mehr garantieren, dass auch Flüchtlinge und gar IS-Terroristen in Griechenland an der Weiterreise nach Deutschland gestoppt würden. Auch NS-Assoziationen werden auf Demonstrationen in Griechenland gegen das Sparprogramm immer wieder bedient, Ressentiments auch auf griechischer Seite geschürt.

An der Grenze zur Bedrohung bewegte sich ein Brief, den ein griechisches Restaurant in Düsseldorf Anfang März erhielt. So lange man in Griechenland weiterhin Deutsche beleidige, werde der Verfasser nicht mehr bei den „Drecksgriechen“ essen gehen, und ihr „Südländerfaulernzertum“ finanzieren.

Sollte „Costas Taverne“ einen solchen Brief erhalten, würde Restaurantbesitzer Theoklidis darüber nur lachen. „Im Grunde zeigt das nur, wie dumm dieser Mensch ist, der den Brief geschrieben hat“, meint er.

Tatsächlich im Grunde alles nur Vorurteile, die faulen, verschwenderischen und unzuverlässigen Griechen? Natürlich gibt es sie, Mentalitätsunterschiede zwischen Griechen und Deutschen. „Die Griechen sind einfach nicht so sehr auf Geld fokussiert, es käme bei einem gemeinsamen Essen nie infrage, die Rechnung zu teilen“, erzählt Evengelika Kokinaki, die Journalistin, „Das Leben dort ist einfach lockerer, weniger durchgeplant und durchstrukturiert. In Deutschland nimmt man einfach alles genauer und es geht hier viel hektischer zu. Es kann also schon sein, dass es dort ein anderes Lebensgefühl gibt, trotzdem wird es hier total verzerrt und übertrieben dargestellt.“

„Am Ende ist kommt es darauf an, dass den Leuten bewusst wird, dass die einfache griechische Bevölkerung nichts für die Verfehlungen von Politikern und der Finanzwirtschaft kann“, sagt Theoklidis, der Gastronom. Klischees und Eigenheiten gebe es in allen Ländern, auch in Deutschland. Eine Grenze sei dann überschritten, wenn man andere diskriminiert oder wirklich beleidigt. Wie sich die Stimmung zwischen den Deutschen und den Griechen entwickelt, sollte nicht davon abhängen, ob sich ein paar Politiker über Geld einig werden können.

Die Rechnung im Restaurant oder in einer Bar zu teilen, dafür hat sich in Griechenland jedenfalls inzwischen ein Sprichwort etabliert - teilt man die Rechnung, so zahlt man „auf deutsche Art“.


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