So viel, wie nötig – so wenig, wie möglich
Die Varroa-Milbe gehört zum Alltag jedes Imkers. Und doch gehen die Meinungen darüber, wie die Bienen am besten vor ihr geschützt werden können, sehr weit auseinander. Ein gemeinsamer Kompromiss könnte für die Bienen und die Imker die beste Lösung sein.
Dem pensionierten Imkermeister Nikolai Petersen ist gelungen, was im letzten Winter schwierig war: Alle seine 19 Bienenvölker haben den Winter überlebt. Und dies bei 22 Prozent Verlust im Bundesdurchschnitt. Vor allem der Winter ist eine Herausforderung für die Bienen, da die Brut unterbrochen wird und sie deshalb bis zu sechs Monate alt werden müssen. Ihre Überlebenschancen hängen von ihrem Gesundheitszustand und den Futterreserven ab. Winterverluste von bis zu 10 Prozent entsprechen dabei den natürlichen Bedingungen. Doch seit in den 70er Jahren die Varroa-Milbe nach Europa eingeschleppt wurde, hat sie sich zum Hauptproblem für unsere Bienen entwickelt. Sie schwächt die Bienen, indem sie sich von der Hämolymphe, also dem Blut der Bienenlarve ernährt und macht die Bienen zusätzlich anfälliger für andere Erkrankungen. Viren beispielsweise müssen ohne die Varroa-Milbe als Überträger, den Umweg über die Darmpassage nehmen. Mit ihrer Hilfe aber gelangen sie direkt in die Hämolymphe der Biene, wodurch diese erkrankt.
In einem Punkt sind sich Imker und Wissenschaftler einig: Das langfristige Ziel ist, dass die Bienen resistent gegenüber der Varroa-Milbe werden. Uneins sind sie, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Dr. Sven Hoffmann, Bienenseuchensachverständiger des Landratsamtes Marburg erklärt: „Ohne die pflegende Hand des Imkers wird kein Bienenvolk den zweiten Winter überleben.“ Er fordert ein Behandlungskonzept, welches mit dem Drohnenschnitt früh im Jahr beginnt, die Milbenlast nach der Honigernte durch Ameisensäurebehandlung reduziert und die Bienen im Winter von restlichen Milben mit Oxalsäure befreit. Seine starken Bienenvölker geben ihm Recht.
Dem gegenüber stehen diejenigen, die jegliche Eingriffe in die natürlichen Abläufe ablehnen. Und auch diese Sichtweise ist berechtigt. Zwar überlebten nur ungefähr 5 Prozent der Bienenvölker, die bei einem Versuch auf Gotland der natürlichen Auslese überlassen wurden. Aber bei ihnen konnte die schwedische Wissenschaftlerin Barbara Locke feststellen, dass der Anteil der eierlegenden Milben um fast die Hälfte reduziert war. Zum gleichen Resultat kamen Wissenschaftler, die ein ähnliches Projekt im französischen Avignon durchführten sowie auch Mike Allsopp, der die Populationen der Kap-Honigbienen in Südafrika untersuchte.
Die Mechanismen, die in den drei Fällen dazu geführt haben, dass die Bienen resistent gegenüber der Varroa-Milbe wurden, unterscheiden sich sehr. Barbara Locke beobachtete bei den Gotland-Völkern, dass die Varroa-Milbe verzögert Eier legt, wodurch mehr unreife Milben in der Zelle sind, wenn die Biene schlüpft. Sie vermutet, dass die Bienenlarven später Duftstoffe freisetzen, die für die Eiablage der Milbe aber unerlässlich sind. Die Bienen der Avignon-Völker hingegen entwickelten ein besonderes Hygieneverhalten, mit dem sie gezielt Brutzellen entfernen, in denen sich vermehrungsfähige Milben befinden. Am schnellsten konnte sich die südafrikanische Kap-Honigbiene A. mellifera capensis an die Varroa-Milbe anpassen. Mike Allsopp fand heraus, dass die Larven dieser Biene im Schnitt zwanzig Stunden weniger in den verdeckelten Brutzellen verbringen als die Larven unserer heimischen Honigbiene. Dadurch kann bei den Kap-Honigbienen pro Brutzelle nur maximal eine eierlegende Milbe entstehen, bei unseren Bienen bis zu zwei. Die gleiche Zeit wie die Kap-Honigbiene verbringen die Arbeiterinnen-Larven der asiatischen Honigbiene A. cerana in der verdeckelten Brutzelle. Sie ist der Ursprungswirt der Varroa-Milbe und daher perfekt an sie angepasst.
Die asiatische Honigbiene hat noch eine weitere Gemeinsamkeit mit der afrikanischen Kap-Biene. Beide Arten bauen ihre Waben mit einer Zellgröße von nur 4,8 anstelle von 5,3 Millimetern unserer heimischen Bienen. Aus diesem Grund setzen einige Imker nach ihren Pionieren Ed und Dee Lusby aus Arizona auf die Zucht kleinerer Bienen mit kleinen Waben. Verschiedene Studien, die sich mit der Zellgröße und dem Befall mit der Varroa-Milbe beschäftigen, kommen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen. Und auch der schwedische Imker Erik Österlund, der von seinen 170 Bienenvölkern sowohl Völker auf großen als auch auf kleinen Wabenzellen hält, beschreibt, dass er einige seiner kleinzelligen Völker mehrfach im Jahr mit Thymol behandeln muss. Hingegen kommen seine Bienen, die auf großen Zellen brüten, aber seit 1995 in Südschweden isoliert stehen, bis heute ohne Behandlung aus. Er schließt daraus, dass die Re-Invasion von Milben aus benachbarten Bienenständen einen viel größeren Einfluss auf die Gesundheit des Bienenvolkes habe, als die Zellgröße. „Geschwächte Völker gefährden die Bienen aus anderen Bienenständen, da starke Bienenvölker vor allem zum Ende der Trachtzeit schwächere Völker plündern und von dort Krankheitserreger in ihren eigenen Bienenstock einschleppen.“, bestätigt Dr. Sven Hoffmann diese Beobachtung.
Umgekehrt behindert die Behandlungspraxis benachbarter Bienenstände die Selektion, denn ein Imker kann den Paarungsflug der Bienenkönigin nicht steuern. Verpaart diese sich mit Drohnen aus Völkern, die regelmäßig gegen die Varroa-Milbe behandelt werden, wird die Königin für ihr Volk keinen Selektionsvorteil mitbringen können.
Bei fast 100.000 Imkern in Deutschland und einem Flugradius der Bienenkönigin von bis zu sieben Kilometern, kann somit die Strategie eines einzelnen Imkers nicht zum Erfolg führen, wenn der benachbarte Imker eine andere verfolgt. Aber mit einem gemeinsamen Konzept könnten die Imker der Varroa-Milbe begegnen ohne hohe Verluste hinnehmen zu müssen und mit der Aussicht, dass die Bienen langfristig resistent gegenüber der Varroa-Milbe werden. Mögliche Anpassungsmechanismen sind genügend vorhanden.
Die Bieneninstitute empfehlen allen Imkern, was Nikolai Petersen schon praktiziert. Sein Geheimnis erklärt er knapp: „Ich orientiere mich am Volk. Ich kann anhand eines Schiebers die Varroa-Anzahl bestimmen. Dann weiß ich, ob ich behandeln muss und welche Völker für meine Zucht geeignet sind."
Nikolai Petersen nutzt während der Tracht den Drohnenschnitt, da sich in der Drohnenbrut die meisten Milben entwickeln und er auf diese Weise die Milbenzahl über den Sommer gering halten kann. Chemisch behandeln sollten die Imker ihre Bienen erst nach der Tracht und nur, wenn sie im Schieber unter dem Bienenstand täglich mehr als zehn Milben finden. Nach den Erkenntnissen der Bieneninstitute eignet sich hierfür am besten die Ameisensäure, weil sie auch die Milben in den verdeckelten Brutzellen erreicht. Im Oktober, bevor die Bienen eingewintert werden, sollten nicht mehr als 5 Prozent der Bienen von Milben befallen sein. Ein stärkerer Befall gefährde nach den Erkenntnissen des Deutschen Bienen-Monitoring Programms die Überwinterung. Es bedeutet aber auch, dass weniger befallene Bienenvölker durchaus ohne vorherige Behandlung eingewintert werden können. Wer dann im Winter im Schieber mehr als eine Milbe pro Tag findet, behandelt wegen der niedrigen Temperaturen am besten mit Oxalsäure. Insgesamt sind natürlich vorkommende Substanzen, wie Milchsäure, Ameisensäure, Oxalsäure und Thymol besser zur Behandlung geeignet, als die beiden zugelassenen synthetischen Produkte Bayvarol und Perizin. Denn gegen die synthetischen Substanzen sind die Milben bereits teilweise resistent und einige Studien weisen darauf hin, dass sie den Befall mit Viren noch verstärken.
Nikolai Petersen nutzt die Informationen aus dem Schieber aber nicht nur für seine Behandlungsstrategie, sondern auch für seine Zucht und für die Auswahl der Völker, die er mit über den Winter nimmt. Er wählt nur Drohnen, Königinnen und Völker aus, die wenig befallen sind und nur wenig behandelt werden müssen. Es wäre sicher interessant herauszufinden, ob und mit welchem Mechanismus sich die von Nikolai Petersen selektierten Bienen an die Varroa-Milbe angepasst haben.
Interview mit dem Leiter des Bieneninstitutes Kirchhain und wissenschaftlichen Berater der AG Toleranzzucht Dr. Ralph Büchler:
Können Bienen aus eigener Kraft Krankheiten wie den Befall mit der Varroa-Milbe überwinden?
Dr. Büchler: „Ja, denn es sieht so aus, als hätten Bienen das beste Paarungsprinzip entwickelt, um Krankheitsresistenzen zu entwickeln. Mit dem freien Flug über lange Distanzen von 5 bis 7 Kilometer, der Mehrfachbegattung der Königin und dem freien Paarungswettbewerb der Drohnen. Auf diese Weise kommen nur die Besten bei der Paarung zum Zug und unter natürlichen Verhältnissen sind die resistenten Bienen die Besten.“
Warum ist es dennoch schwierig resistente Bienen zu züchten?
Dr. Büchler: „Solange wir Behandlungen durchführen, kann man kaum auf Resistenz züchten. Denn wir fördern damit die schwachen Völker, die ohne Behandlung nicht überleben würden. Durch die Behandlung erhalten genau diese schwachen Völker einen Vorteil gegenüber den Völkern, die Energie aufwenden müssen, um der Milbenlast Herr zu werden.“
Wie reagieren die Imker auf die Idee, stärker auf die Zucht resistenter Bienen zu setzen und weniger zu behandeln?
Dr. Büchler: “ Die meisten hoffen auf die Zucht. Leider ist die Bereitschaft etwas umzustellen sehr gering, denn im ersten Moment ist mit hohen Verlusten zu rechnen. Aber am Beispiel Südafrika kann man sehen, dass die natürliche Selektion der beste Weg zur Krankheitsresistenz ist. Die Imker dort können sich die teuren Behandlungsmethoden nicht leisten. So kam es zunächst zu hohen Verlusten, aber nach wenigen Jahren waren kaum noch Verluste zu verzeichnen. Hier in Deutschland haben die Imker eine hervorragende Ausbildung in der Anwendung von Behandlungsmethoden und haben zweitens den Zugang und das Geld zu den nötigen Chemikalien. Das macht den Umstieg schwierig. Denn wer einmal über den Winter Verluste hinnehmen musste, wird alles daran setzen, seine Bienen gut über den nächsten Winter zu bringen.“
Was ist Ihr Vorschlag, damit der Ausstieg aus der Behandlungsspirale gelingen kann?
Dr. Büchler: „Eine kluge, schrittweise Umstellung. Wir müssen zu einer Schadschwellen-orientierten Behandlung kommen, damit wir nicht anfällige Bienen heranzüchten. Unterhalb des Bienenstockes wird ein Gitterboden eingebracht, durch den tote Milben hindurch auf einen Schieber fallen und gezählt werden können. Dies erlaubt einen Rückschluss auf die Milbenlast im Stock. Die AG Toleranzzucht empfiehlt den Befall mit Milben genau zu prüfen. Einige Völker können ganz unbehandelt überwintert werden und sind dann im Folgejahr stärkere und resistentere Völker.“