geschrieben von Sandra Neuburger
Publikationsdatum am 30.06.16 13:25
Ein investigatives Reporterteam des Boston Globe veröffentlichte 2002 die erschütternden Ergebnisse seiner Recherchen über einen gewaltigen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Unaufgeregt und spannend stellt der Film „Spotlight“ die Geschehnisse dar.
Filmrezension von Sandra Neuburger
Die Geschichte wird ruhig, ohne Effekthascherei und dennoch äußert spannend erzählt. Sie ist weder rührseliges Drama noch sensationsheischende Story. Regisseur Thomas McCarthy, der zusammen mit Josh Singer auch das Drehbuch schrieb, hat ganze Arbeit geleistet. Anstelle der üblichen Special Effects brilliert der Film durch Detailreichtum: stures Einhalten der Öffnungszeiten und Vorschriften, quälend lange Recherchen, drohende Freunde und nicht zuletzt die aussagekräftige Gestik und Mimik der hochkarätigen Schauspieler.
Bereits die erste Szene auf einer Bostoner Polizeiwache lässt nichts Gutes ahnen. Es wird viel angedeutet, wenig ausgesprochen. Doch das genügt vollauf. Es ist völlig klar, worum es hier geht: Um einen Priester, eine verzweifelte Mutter, vor allem aber geht es um die Kinder.
Zwei Polizisten unterhalten sich kurz über das Ereignis. Der jüngere stellt eine Frage. Er scheint ehrlich interessiert. Die Antwort des älteren wirkt dagegen desinteressiert, resigniert und eher befremdlich: „Die Mutter flennt, der Onkel ist stinksauer.“ Er zuckt mit den Schultern, denn er weiß: Es wird keine Konsequenzen geben. Die Sache ist hiermit für ihn erledigt.
Betreffender Priester sitzt allein in einem Nebenraum, den Blick hält er gesenkt. Der Staatsanwalt taucht auf, der Bischof redet auf die weinende Mutter ein. Sie ist allein mit den zwei dunkel gekleideten Männern. Am Ende verlässt der Priester unbehelligt die Wache und steigt in eine schwarze Limousine die gleich darauf in der Dunkelheit verschwindet. Das hinterlässt einen bitteren Geschmack.
Es geht um das System
Zu Beginn des Films scheint die Arbeit des „Spotlight“-Teams, bestehend aus den Reportern Mike Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdam) und dem Rechercheur Matt Caroll (Brian D’Arcy James) zunächst gefangen in den alltäglichen Geschehnissen der Metropole. Zumindest bis im Jahr 2001 der neue Herausgeber Marty Baron (Liev Schreiber) beim Boston Globe anfängt. Er bringt frischen Wind in die Redaktion. Baron ist nicht katholisch, mag kein Baseball und unterhält keine Bande zu der sogenannten besseren Gesellschaft der Stadt. Er schlägt im Rahmen einer Redaktionskonferenz vor, das Thema über einen hiesigen Priester, der über Jahre hinweg Kinder missbraucht haben soll, neu aufzurollen. Um an die versiegelten Dokumente zu gelangen, muss der Globe vor Gericht ziehen.
„Sie wollen die Kirche verklagen?“, die empörte Reaktion. Baron bleibt bei seiner Entscheidung. Das „Spotlight“-Team beginnt in der Sache zu recherchieren. Die Journalisten stoßen bald auf erhebliche Widerstände. Das Leben wird ihnen auf subtile Art und Weise schwer gemacht. Einschüchterung, Bedrohung und Bestechung der – zumeist aus einkommensschwachen Familien stammenden – Opfer erschweren die Recherchen.
„Sie wussten es und haben es laufen lassen. Mit Kindern! Das hättest du sein können oder ich. Jeder von uns hätte es sein können!“ Es ist ein Gefühlsausbruch mit Gänsehautfaktor, die einzige Szene dieser Art. Mit Gefühlsäußerungen wird ansonsten sehr sparsam umgegangen. Und genau deshalb beeindruckt diese hier so sehr. Der Frust und die Verzweiflung die sich im Laufe der Recherchen aufbauen, materialisieren sich buchstäblich. An einem Punkt bricht das ganze Ausmaß des Missbrauchsskandals über dem Reporter Mike Rezendes zusammen. Ziel seiner Wut ist der „Spotlight“-Chefredakteur Walter „Robby“ Robinson (Michael Keaton). Der scheint sich zwar nicht ganz wohlzufühlen in seiner Haut, bleibt aber ruhig. Professionell. Sachlich. Stellt das höhere Ziel ihrer Arbeit allem anderen voran. Er will an das große Ganze. Es geht um das System, nicht nur um einen einzelnen Priester.
Der Katechismus als Stadtplan
Herausgeber Marty Baron muss den obligatorischen Antrittsbesuch bei Kardinal Bernard Law (Len Cariou) auf dessen riesigem Landsitz hinter sich bringen. Während des gesamten Gesprächs zeugen Anspielungen, stets freundlich vorgetragen, davon, dass der Kardinal versucht Baron einzuschüchtern. Dieser lässt jedoch nicht erkennen, was er von Laws Andeutungen hält, sondern zeigt sich gänzlich unbeeindruckt: „Persönlich bin ich der Meinung, dass eine Zeitung, um ihr Bestes geben zu können, für sich allein stehen sollte.“ Eine klare Botschaft.
Aber der Kardinal gibt nicht nach, hat noch etwas in der Hinterhand. Er macht dem jüdischen Herausgeber ein Geschenk bevor er ihn verabschiedet: Den Katechismus der katholischen Kirche, den er gar als Führer des Kardinals durch die Stadt Boston bezeichnet. Hegte man bislang aus irgendwelchen Gründen noch Zweifel an den Absichten des Kardinals, so werden diese damit ausgeräumt.
In diesen Räumen wird Geschichte geschrieben?
Wo sind die protzigen Eckbüros aus den Hollywood-Filmen? Wo die dicken Autos, die riesigen Häuser der Protagonisten?
Neonleuchten, fahles Licht, triste Büroräume kärglich eingerichtet, Fahrzeuge, wie sie gewöhnlicher nicht sein könnten und blasse, müde Journalisten bestimmten das Bild. Wohlhabend sind nur die anderen. Ein völliger Verzicht auf falschen Glamour, stattdessen: farbloser Redaktionsalltag. Beschönigt wird hier nichts. Auch nicht die Tatsache, dass der Skandal schon früher hätte aufgedeckt werden können, hätte sich nur jemand die Mühe gemacht, zu recherchieren.
Untermalt wird dieser bewegende Film von einem nicht weniger großartigen Soundtrack. Howard Shore, der unter anderem die Musik zu den Hobbit-Filmen komponierte, gelang es uneingeschränkt, die ohnehin bedrückende Atmosphäre noch greifbarer zu machen.
Geschichte geschrieben haben sie, die Reporter des „Spotlight“-Teams. Mike Rezendes, Sacha Peiffer und Matt Caroll, unter der Leitung von Walter „Robby“ Robinson deckten, nachdem sie ihre eigenen Vorbehalte hinter sich gelassen hatten, einen Missbrauchsskandal von gigantischem Ausmaß auf. Am 6. Januar 2002 veröffentlichte der Boston Globe den ersten Artikel, in dessen Mittelpunkt der Priester John Geoghan stand, der mehr als 130 Kinder missbraucht haben soll. Es war der Auftakt zu 600 weiteren Artikeln über Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche in den USA. Diese geriet daraufhin massiv unter Druck. Denn auch aus anderen Ländern meldeten sich immer mehr Betroffene. Öffentlich waren nun die Machenschaften der Priester und deren Vorgesetzten, die stillschweigend dafür sorgten, dass diese in einer anderen Stadt gänzlich unbehelligt von vorne beginnen konnten.
Die „Spotlight“-Reporter erhielten 2003 den Pulitzerpreis für ihre Arbeit. Der Film, der bereits im November 2015 in den US-Kinos lief, bekam verdientermaßen im darauffolgenden Jahr zwei Oscars.
Die ganze Geschichte ruft uns in Erinnerung, wie wichtig es ist, die vierte Gewalt, die Pressefreiheit, zu erhalten, die Autoritäten hinterfragt und nicht zurückschreckt, wenn es ungemütlich wird.