geschrieben von Mirela Lübbars
Publikationsdatum am 30.06.16 13:32
Kann die Wahrheit manchmal so ungeheuerlich, so abscheulich sein, dass sie lieber unausgesprochen bleibt? Kann man der Gesellschaft einen Vorwurf machen, wenn sie lieber schweigt und wegschaut, anstatt in das Angesicht von dem was nicht sein darf zu blicken?
Ja, weil eine Gesellschaft, die wegsieht sich am Verbrechen mitschuldig macht. Sie beraubt die Opfer ihrer Gerechtigkeit und damit ihrer Chance auf Heilung. Wie soll ein schutzloses Kind den Missbrauch an seiner Seele und dem Körper überleben, wenn es gezwungen wird zu schweigen?
So ist es nicht weiter verwunderlich, dass im Journalisten-Drama „Spotlight“ nicht von Opfern die Rede ist, sondern von Überlebenden. Ein Film über eine wahre Begebenheit.
Der Boston Globe bekommt im Jahr 2001 einen neuen Chefredakteur; Marty Baron (Liev Schreiber) stellt an seinem ersten Arbeitstag in der Redaktion die Weichen für die Aufdeckung einer der größten Skandalgeschichten unserer Zeit. Eine Kolumne in der es um den mehrfachen Kindesmissbrauch durch einen katholischen Priester in sechs verschiedenen Gemeinden geht, macht ihn stutzig. Er stellt die Frage in den Raum, wie es sein kann, dass ein Priester 30 Jahre lang so viele Kinder missbraucht hat und keiner etwas bemerkt haben will. Das vierköpfige Investigationsteam von Spotlight bestehend aus Walter Robinson (Michael Keaton), Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams) und Matt Carroll (Brian d’Arcy James), wird mit der Recherche beauftragt. Zunächst sollen sie nur herausfinden, inwieweit die Oberen der katholischen Kirche, namentlich der Kardinal Bernard Law (Len Cariou), davon Kenntnis hatten. Und wenn die Kirche es wusste, wurde der pädophile Priester systematisch von einer Gemeinde in die nächste geschickt?
Die vier Reporter stellen bereits nach den ersten Recherchen fest, dass das Ausmaß des Missbrauchsskandals viel größer ist, als sie es jemals vermutet hätten. Die Täter sind zahlreich, genauso wie ihre Opfer. Und das System in der katholischen Kirche, mit dem seit vielen Jahren die Vorfälle vertuscht werden, sehr gut organisiert.
Von nun an geht es um den Kampf gegen habgierige Anwälte, versiegelte Akten, strikte Öffnungszeiten, wütende Angehörige und die Stadt Boston, in der 53 Prozent der Einwohner katholischen Glaubens sind. Und dann ist noch diese schier unmenschliche Aufgabe das Vertrauen derer zu gewinnen, die sowohl den Glauben wie das Vertrauen längst verloren haben: Die Opfer, die ihre Geschichten erzählen müssen. Geschichten die man leise niederschreibt, während die Betroffenen beim Erzählen ihren ganzen Schmerz aufs Neue erleben. Es sind die Augenblicke, in denen sich die ganze Professionalität der Journalisten zeigt und sogar, wenn Sacha eines der Opfer dazu auffordert den Missbrauch detailliert zu beschreiben, ist das Mitgefühl greifbar und die journalistische Ethik über jeden Zweifel erhaben.
Dem Regisseur Tom McCarthy, der mit John Singer zusammen das Drehbuch geschrieben hat, ist es gelungen eine komplexe Geschichte, mit allen Hintergründen packend zu erzählen und zusammen mit der hohen Integrität der Protagonisten zu vereinen. Er zeigt die Reporter, frei von Glamour und Eitelkeit. Journalisten der alten Schule, die für ein wenig Gerechtigkeit unermüdlich ermitteln.
„Spotlight“ war für sechs Oscars nominiert und hat in den Kategorien „Bester Film“ und „Bestes Drehbuch“ gewonnen. Mehr hätte man ihm gewünscht. Großartig sind die Leistungen der Schauspieler und die des Regisseurs. Großartig ist die Botschaft dahinter.
Wenn die Öffentlichkeit, samt der Justiz und der Polizei, lieber wegschaut, dann kann man den Wert der vierten Gewalt nicht hoch genug bemessen, die mit aller Macht Institutionen hinterfragt und Autoritäten nicht anerkennt - damit die Wahrheit aus dem Dunkeln ans Licht kommt. Und in diesem Fall Kinder, denen unsagbares Leid zugefügt wurde endlich gehört werden. Dankbar sollte jede Gesellschaft sein, für die professionelle Arbeit ihrer freien Presse; für ihren Kampf um Gerechtigkeit. Ein solcher Kampf erfordert, wie „Spotlight“ es uns zeigt, sehr viel Mut und verdient Anerkennung.