geschrieben von Axel Otersen
Publikationsdatum am 25.05.16 17:30
Im heutigen digitalen Zeitalter, wo man bei Neuigkeiten nicht mehr bis zur abendlichen Tagesschau warten muss, sondern die Suchmaschine Google für eine Antwort benutzt, hat das Stichwort „langsamer Journalismus“ auf den ersten Blick wohl kaum noch einen Stellenwert. Nachrichten und Geschichten werden möglichst schnell abgearbeitet, indem der reine Informationswert im Vordergrund steht, ähnlich wie bei einem Notfall mit den typischen W-Fragen: Wann, wer, wie und wo. Das Warum geht dabei mehr und mehr in den Hintergrund, anhand der Fakten sollte man sich selbst seine Meinung bilden.
Ein Beispiel: Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann veröffentlicht ein so genanntes Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Erdogan. Dieser fühlt sich zutiefst beleidigt und leitet rechtliche Schritte ein. Die Bundesregierung billigt dies, die Folge ist eine politische Krise und Unverständnis. In der Öffentlichkeit wird die Entscheidung scharf kritisiert, vom Verlust der Pressefreiheit ist sogar die Rede. Was aber so gut wie gar nicht veröffentlicht wurde (das Magazin „stern“ macht hier die Ausnahme) war die Antwort auf die Fragen nach dem Warum. Angela Merkel begründet ihre Entscheidung nicht mit dem Argument, die Flüchtlingskrise nicht zu gefährden und Erdogan zu besänftigen, sondern mit dem Erhalt der Rechtsstaatlichkeit. So lange es ein Gesetz gibt, welches einem die Möglichkeit zur (An-) Klage gibt, sollte sich eine Regierung nicht darüber hinwegsetzen, denn das wäre die Gefährdung einer fundierten Judikative. Dass sie im nächsten Satz dann ausführte, dass das Gesetz nicht mehr haltbar ist in der heutigen Zeit und in naher Zukunft abgeschafft wird, ist für den aktuellen Fall insofern interessant, dass sicherlich kein Richter nach einem Gesetz urteilen wird, welches in den Entscheidungsgremien des Parlamentes sicherlich zeitnah abgeschafft wird.
Was lernen wir aus dem Beispiel? Im Prinzip wurde die Stimmung dahingehend aufgeheizt, dass ein ausländischer Präsident bei einem deutschen Satiriker in Deutschland eine Strafverfolgung initiiert, was auf den ersten Blick absurd erscheint. Und dann lässt die Bundesregierung die Strafverfolgung auch noch zu, was zu weiterem Unverständnis führte. Die allgemeinen Hintergründe wurden aber nicht beleuchtet, die Frage nach dem Warum tauchte kaum auf. Angela Merkel musste so handeln, weil sie die Rechtsstaatlichkeit nicht infrage stellen wollte.
Als Journalist ist die Grundlagenrecherche ein wichtiges Werkzeug bei der Berichterstattung. Es zählen aber nicht nur die Fakten, sondern auch die Hintergründe. Dabei ist es entscheidend, sich in Personen hineinversetzen zu können, die Gedankengänge nachzuvollziehen und dann die Zusammenhänge zu verstehen. Für nahezu jede menschliche Aktion gibt es auch eine Begründung, eben die zentrale Frage nach dem Warum. Bei Straftaten zum Beispiel zählen zunächst nur die Fakten, das Warum wird erst in einem späteren Gerichtsverfahren geklärt, und es kommt häufig vor, dass nach Faktenlage eine Verurteilung völlig legitim wäre, aber eine gute Begründung diese völlig aushebeln kann und den Fall bzw. die Tat in einem ganz anderen Licht gesehen werden. Der Satz „nichts scheint auf den ersten Blick so wie es ist“ sollte immer Hinterkopf eines Journalisten sein, die Urteilsfindung dem Rezipienten überlassen sein und die Berichterstattung dabei das Handwerkszeug darstellt.
Qualitätsjournalismus beginnt in dem Moment, wo alle möglichen Perspektiven beleuchtet wurden und den Rezipienten die Möglichkeit gegeben wird, sich objektiv die eigene Meinung bilden zu können. Doch leider spricht die Realität eine andere Sprache, denn mit stimmungsmachenden Schlagzeilen hat man eine größere Reichweite, somit mehr Einfluss und (Werbe-) Einnahmen. Der monetäre wirtschaftliche Aspekt führt also dazu, dass das Niveau sinkt. Eine Schlagzeile „Asylantenheim in Flammen“ bringt mehr Reichweite und Interesse als „Technischer Defekt: Wohnhausbrand“. Es geht um den gleichen Sachverhalt, allein schon die emotionale Wahrnehmung ist völlig anders.
Trotzdem ist es völlig falsch, von „Lügenpresse“ zu sprechen, eine Wortneuschöpfung, die in letzter Zeit in aller Munde ist. Dieser Eindruck ist aber entstanden, da die Warum-Frage nicht im Vordergrund stand, sondern die aktuellen Untermauerung der aktuellen Schlagzeilen. Die Katze beißt sich damit in ihren eigenen Schwanz. Hier muss ein Umdenken passieren, die Blick auf das ganze geschärft werden und die Rezipienten die Möglichkeit bekommen, Zusammenhänge umfassend dargestellt zu bekommen. Sollte dies nicht geschehen, werden auch in Zukunft Worthülsen mehr Bedeutung erlangen als Begründungen, Argumente und Fakten. Langsamer Journalismus muss nicht langsam sein, er sollte nur verhindern, dass vorschnell Schlüsse gezogen werden, die dann zu einem verfälschten Ergebnis führen.