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1. Platz Schreibwettbewerb "Spotlight" - Recherche einer Recherche



Tom McCarthys Spotlight feiert den investigativen Journalismus – und trauert ihm nach.

Den Mächtigen auf die Finger schauen soll er, der engagierte, investigative Journalismus. Doch zahlreiche Finger, insbesondere die versteckten, schmutzigen,  bleiben immer öfter unbeobachtet. Die Internetkonkurrenz und der Auflagenschwund der Blätter führen seit Jahren zu zunehmenden wirtschaftlichen Einbußen der Verlage und das wiederum  zu einer Verkleinerung der Redaktionen. Die Stellenstreichungen werden oft die treffen, die pro Zeiteinheit eine geringere Ausbeute an Buchstaben haben. Redaktionen, die investigativ arbeiten, sind solche, da sie sehr viel Zeit in die Recherche stecken – so wie die Spotlight-Redaktion des Boston-Globe. Im Jahr 2001 bestand sie aus vier Journalisten, die es wagten, in dem erzkatholischen Boston einer brisanten Spur nachzugehen: dem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester. Tom McCarthy verfilmte die Geschichte; herausgekommen ist ein mehrfach preisgekrönter Film.

Zu den Auszeichnungen gehören auch zwei Oscars (2016): Bester Film und bestes Drehbuch – das beste Originaldrehbuch, nicht der für das beste adaptierte Drehbuch. Der Unterschied ist durchaus erwähnenswert, da es zu der zugrundliegenden Geschichte eine Vorlage gibt: Betrayal (von „The Investigative Staff of the Boston Globe“ – leider nur auf Englisch erhältlich). Das Buch ist eine Dokumentation der Rechercheergebnisse des Spotlight-Teams über den Missbrauchsskandal, geschrieben in einer typisch journalistisch-berichtenden Erzählhaltung, bei der die Erzähler im Hintergrund bleiben. Der Film Spotlight ist aber keine Verfilmung des Buchs, er ist vielmehr die Geschichte der Entstehung des Buchs. Das hieß für die Drehbuchschreiber Tom McCarthy und Josh Singer, dass vor dem Schreiben eine Aufgabe anstand, deren journalistische Variante in dem Film anerkennend inszeniert wird: die Recherche.

„Their research was impressive…“, schreibt Martin Baron, damaliger Chefredakteur des Globe (in der deutschen Synchronisation des Films als Herausgeber bezeichnet),  in einem Artikel, den er dieses Jahr anlässlich des Films für die Washington Post verfasste (I’m in ‘Spotlight’, but it’s not really about me. It’s about the power of journalism“).

Die beiden Autoren hätten eine „scheinbar unendliche Serie“ an Interviews mit der damaligen Redaktion geführt – natürlich auch mit den Opfern, Anwälten, Experten etc.  Es sei ihnen sehr ernst damit gewesen, den Film so authentisch wie möglich zu gestalten, was Baron so nicht erwartet hatte. Kurz vor Fertigstellung des Films habe ihn McCarthy gefragt, ob es irgendetwas an dem Werk gäbe, was Journalisten für unauthentisch halten könnten. „Warum? Ist das wichtig?“, habe Baron gefragt. „Sehr“, sei die Antwort von McCarthy gewesen. Baron hatte nichts gefunden.

Ist Spotlight also ein Film für Journalisten, ein Lehrstück über akribische Überprüfungen und leidenschaftliche journalistischer Nachforschungen? Auch, aber nicht nur. Er ist auch das Portrait einer Stadt an der amerikanischen Nordostküste, die fest in katholische Hand ist, die Geschichte von Jahrzehnte andauerndem Missbrauch zahlreicher Geistlicher, deren Vertuschung u. a. durch den Erzbischof Bernand Law (Len Cariou), den Verstrickungen der Justiz, des inneren Kampfs zahlreicher Menschen, die sich beim Aufdecken der Vorkommnisse zwischen Kirchenloyalität und persönlichem, ethischen Empfinden entscheiden müssen.  Und natürlich kommen auch die Opfer vor, deren Geschichten lange Zeit kein Gehör fanden, weil sie in einem solchen Klima zunächst niemand hören wollte oder schnell wieder zu vergessen versuchte.

Zur Geschichte: 2001 bekommt der Boston Globe einen neuen Chefredakteur: Martin Baron (Liev Schreiber). Noch vor seinem ersten Arbeitstag  trifft er sich zum Abendessen mit dem Leiter der Spotlight-Redaktion, Walter Robinson (Michael Keaton), der dem Investigativ-Team des Globe vorsteht, sich aber gerne als „Spieler-Trainer“ sieht. Die Zeitungskrise war auch 2001 schon Thema und so versucht Robinson seinen neuen Chef auszuhorchen, ob es zu Kürzungen kommen und ob es seine Redaktion treffen wird. Konkrete Antworten bekommt er noch nicht. Baron ist mit dem Spotlight-Team „im Detail nicht vertraut“. Als der neue Mann beim Globe dann seine erste Reaktionskonferenz hält, fragt er die anwesenden Redakteure, ob jemand den Artikel der Kolumnistin über den Fall Geoghan gelesen hätte – einem Priester der sich an Jungen vergangen hatte. Das hatten alle, aber keiner war wie Baron auf die naheliegende Idee gekommen, der Sache  nachzugehen. Die Aufgabe wird dem Investigativ-Team Spotlight übergeben – neben Walter Robinson gehören noch Michael Rezendes (Mark Rufallo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams) und Matt Carroll (Brian d'Arcy James) dazu. Das Team stellt eine andere Recherche zurück und nimmt sich trotz zahlreicher Widerstände, die sich angesichts des Themas und des katholisch geprägten Klimas ergeben, der Sache an.
 
Baron selbst muss zum Erzbischof Law, eine Art Antrittsbesuch, was so üblich sei, wie ihm der Verleger des Globe versichert. Bei dem Gespräch bietet Law ihm eine enge Kooperation an, da es gut für die Region sei, wenn ihre „großen Institutionen“ zusammenarbeiteten. Baron lehnt freundlich ab mit dem Hinweis, dass es für eine Zeitung doch wichtiger sei, unabhängig zu bleiben. Am Ende der Szene übergibt  das Kirchenoberhaupt dem Redakteur ein Willkommensgeschenk, einen „Führer des Kardinals für die Stadt Boston“. Im Auto packt Baron, der Jude ist, das Geschenk aus: Es handelt sich um den Katechismus der katholische Kirche (Baron stellte für den Film sein von Law geschenktes Originalexemplar zur Verfügung). Für die Entscheidung zwischen journalistischem Kodex und katholischem Katechismus braucht Baron nicht lange.

Das Spotlight-Team recherchiert weiter, Baron begibt sich in einen Rechtsstreit mit der katholischen Kirche, weil er Einsicht in Gerichtsakten nehmen möchte, die als vertraulich eingestuft worden sind. Das Ausmaß des Skandals ist anfänglich niemandem klar, ergibt sich Stück für Stück mit jedem Rechercheschritt, dem Einblick in zahlreiche Akten und dem Führen zahlreicher Interviews (mal erfolgreich, mal weniger) des Investigationsteams.
Die Darstellung des Teams ist so überzeugend wie das detailliert recherchierte Drehbuch. Mark Ruffalo spielt einen aufgedrehten Vollblut-Reporter, dessen ausgeprägte Neugier sogar Redaktionskollegen nerven kann und der verschlossene Türen, hinter denen sich journalistisch Wichtiges befindet, malträtiert, bis sie sich öffnen (Oscarnominierung für den besten männlichen Nebendarsteller).
Brian d'Arcy James spielt einen deutlich ruhigeren Typus, einen angesichts des Themas besorgten Familienvater, einen strukturierten Denker, der jedem Team aufgrund der ordnenden Fähigkeiten gut tut – auch  wegen seiner EDV-Kennnisse, die (tabellarische) Ordnung in die unzähligen Recherchesplitter bringt.
Rachel McAdams zeigt bei den Interviews mit den Opfern so viele verständnisvolle, ermunternde, empathische Gesichtsausdrücke, dass es fast für ein  Psychotherapeutenleben reichen könnte (Oscarnominierung für die beste weibliche Nebendarstellerin).
Michael Keaton spielt einen typischen Lokaljournalisten, verwurzelt in der Region, der „es nicht weit gebracht hat“ (ein Scherz: seine High-School befindet sich gegenüber des Gebäudes des Boston Globe). Bei Keaton ist so Manches in die Jahre gekommen, die Spiellaune aber nicht -  die ist eher gereift.
Liv Schreiber füllt die Rolle des neuen Chefredakteurs des Globe nicht minder überzeugend aus; ein Arbeitstier, das die Büroräume kaum verlässt, unverheiratet, kinderlos, seinen Job über alles liebend – ein journalistischer Workaholic, aber kein unglücklicher. In der Summe ergibt das einen Critics‘ Choice Award 2016 für das beste Schauspielensemble.

Die Anerkennung journalistischer Arbeit zeigt sich nicht nur in der von Baron gelobten detaillierten Recherche der Drehbuchautoren, sondern auch ein Stück weit in der Machart des Films. Die Kamera bleibt oft auf angenehmer Distanz, verzichtet auf ein dramatisierendes Heranzoomen bis zur Nasenspitze; der Rhythmus der Einstellungen ist gut gewählt, so dass sich das, was den Alltag eines Journalisten ausmacht, ruhig entfalten kann: zahlreiche Interviews und andere Gespräche. In dieser Hinsicht ähnelt Spotlight fast einem journalistischen Dokumentarfilm, bleibt aber doch ein Hollywoodfilm (so träge ist der Rhythmus auch wieder nicht), der durch die für heutige filmische Sehgewohnheiten durchaus zurückhaltende Inszenierung eines sehr ernsten Themas zu fesseln weiß. Es lässt die Geschichte wirken. Für Regie und Schnitt gab es ebenfalls Preise und zwei Oscarnominierungen. Der Vergleich zu All The President‘s Men  (Die Unbestechlichen) wurde in den Medien häufig gezogen und man kann Spotlight durchaus als einen würdigen Nachfolger des Pakula-Klassikers ansehen (1977 Oscarnominierung für den Besten Film, der ging allerdings an Rocky).

Spotlight erscheint am 30.06.2016 auf DVD/Blu-Ray. Als Bonusmaterial gibt es drei kürzere Zugaben: einen erweiterten Trailer, einen Zusammenschnitt von Interviews der Filmcrew und eine kurze Gesprächssequenz mit den damaligen Mitgliedern des Spotlight-Teams. McCarthy äußert sich im zweiten Beitrag (Der Zustand des Journalismus) äußerst besorgt über die Lage der (amerikanischen) Presse und die Notwendigkeit gut recherchierender Journalisten. „Investigativen Journalismus zu unterstützen ist fundamental für unsere Demokratie“, sagt er darin. Sicher ist McCarthy auch ein sehr guter Schauspieler, angesichts der Fakten zum Zustand der Presselandschaft, kann man ihm seine Besorgnis aber durchaus abnehmen. Die Auflage des Boston Globe hat sich seit 2001 halbiert. Es werden Stimmen lauter, die darauf setzen, dass das Internet die Aufgabe übernehmen kann, den Mächtigen auf die Finger zu schauen, schreiben McCarty und Singer sinngemäß  im Vorwort der aktuellen Auflage von Betrayal,   „ …some would argue there is no longer a need for traditional investigative journalism. We disagree“. Und deswegen hätten sie sich entschieden, die Spotlight-Story zu erzählen, damit die Leute ihn wieder mehr zu schätzen lernen: den traditionellen investigativen Journalismus.

USA 2015
Original-Titel: Spotlight
DVD/ Blu-Ray erhältlich ab 30.06.2016
R: Tom McCarthy
B: Josh Singer, Tom McCarthy
P: Blye Pagon Faust, Steve Golin, Nicole Rocklin, Michael Sugar
K: Masanobu Takayanagi
S: Tom McArdle
Musik: Howard Shore
A: Stephen H. Carter
V: Paramount Pictures
L: 128 Min
FSK: keine Beschränkung
D: Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams, Liev Schreiber, John Slattery, Brian d'Arcy James, Stanley Tucci, Richard Jenkins


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